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Ein Dokument des modernen Fachwerkhaus
In Bad Honnef steht ein kleines, aber architekturgeschichtlich bedeutendes Haus aus den 60er Jahren, das als Prototyp einer vorgesehenen neuen Generation von Fachwerkbauten gedacht war. Es dokumentiert in einprägsamer Weise neue konstruktive Möglichkeiten des Holzbaus wie auch das fortschrittsorientierte Denken der damaligen Zeit.
Im Jahre 1967 wurde in der Böckingstraße 9 in Bad Honnef das Haus Mayer-Kuckuk errichtet. Der Bauherr, ein aus den USA an die Bonner Universität berufener Atomphysiker, hatte den Architekten Wolfgang Döring beauftragt, ein preiswertes Einfamilienhaus mit ganz normalem Raumprogramm zu entwerfen; Wohnraum, Küche, Eßplatz, Schlafraum, zwei Kinder- und ein Arbeitszimmer. Wolfgang Döring, 1934 in Berlin geboren, Professor an der Technischen Hochschule in Aachen, der sich in seinem Düsseldorfer Architekturbüro damals bereits eingehend mit der Entwicklung von Systembauten befaßt hatte, konnte den Auftraggeber dafür gewinnen, seine Bauabsichten auf eine ungewöhnliche Weise zu realisieren. Der Architekt konzipierte das für die damalige Zeit besonders preiswerte Wohnhaus als Prototyp eines neuartigen Systembaus, dessen bestechend einfacher Grundriß mit einer konsequent durchdachten Konstruktionslösung korrespondiert, die das Wirkungsgefüge der innovativen Fachwerkkonstruktion überzeugend zum Ausdruck bringt.
Das bis heute im wesentlichen unverändert gebliebene Bauwerk besteht aus einem langgestreckten zweigeschossigen Kubus, dessen einer Teil von dem durch beide Geschosse reichenden Wohnraum eingenommen wird, während der andere die in beiden Etagen einbündig an einen Längsflur angeschlossenen Neben- bzw. Schlaf- und Arbeitsräume enthält. Signifikantes Merkmal des Bauwerks ist das außerhalb der Umfassungswände angeordnete Tragskelett.
Es besteht aus zwei Reihen bis knapp über die Dachhöhe reichende Ständer an den beiden Längsseiten, die über Doppelzangen in der Ebene des vom Gelände abgehobenen Erdgeschoßbodens, der Zwischendecke und des Daches miteinander verbunden sind und die gesamten Lasten des Hauses aufnehmen. Die Längsaussteifung erfolgt mit geschoßweise überkreuzten Stahlzugbändern, die vor den jeweils vorletzten Wandfeldern beider Längsseiten sichtbar angebracht sind, die Queraussteifung wird durch die in allen Kreuzungspunkten von Stützen und überschießenden Balkenköpfen regelmäßig angeordneten Dreiecksscheiben aus wetterfestem Sperrholz erreicht, die als wesentliche Gestaltungselemente deutlich überdimensioniert wurden. In die 10 cm hinter den Stützen stehende leichte Außenwand aus Sandwichplatten ist im Bereich zwischen den Decken bzw. Dachbindern eine Verglasung in Form eines Lichtbandes eingeschoben, die die bauliche Systematik innen und außen verdeutlicht und die große Höhe des Wohnraumes angenehm gliedert.
Obwohl mit dem Haus Mayer-Kuckuk konstruktives Neuland beschritten wurde, bedurfte das Bauwerk nachträglich nur geringer technischer Korrekturen, um langfristig funktionsfähig zu bleiben, wie einige Verbesserungen der Abdichtung und die nachträgliche Blechabdeckung der Balkenköpfe. Der Gesamteindruck ist damit jedoch nicht verändert worden. Auch von der eingeplanten Flexibilität möglicher Grundrißveränderungen durch Umsetzen von Zwischenwänden im Innern wurde trotz eines Eigentümerwechsels kaum Gebrauch gemacht. Das Gebäude ist deshalb ein authentisches Zeugnis der Entstehungszeit. Die von dem Architekten gehegte Erwartung, daß sich aus dem realisierten Prototyp eine Serie industriell vorgefertigter Wohnhäuser entwickeln könne, hat sich allerdings nicht erfüllt. Zwar gingen nach dem Bau zahlreiche Anfragen beim Architekten und der Ausführungsfirma ein, der intellektuelle Anspruch des durch seine ungewohnte konstruktiv-technische Ästhetik charakterisierten Bauwerks sprach aber doch wohi nur eine sehr beschränkte Elite potentieller Interessenten an, deren Anzahl nicht ausreichte, um der Baubranche das Experiment einer Serienfertigung schmackhaft zu machen.
Das Haus Mayer-Kuckuk blieb ein Unikat. Zwar blieb es dem Haus Mayer-Kuckuk verwehrt, Ahnherr eines neuen Typus moderner Wohnbauten zu werden, das Echo in der Fachwelt und Presse war jedoch ungewöhnlich weit gefächert, lang anhaltend und positiv. Neben zahlreichen Architekturzeitschriften des In- und Auslands interessierten sich auch Tageszeitungen für Dörings Experiment, und Architekturbücher nahmen es als Beispiel für progressive Gestaltung im Ingenieurholzbau in ihre Beispielsammlungen auf. Die bereitwillige bis begeisterte Aufnahme ist eine zeitgeschichtliche Tatsache, die einen wesentlichen Aspekt der geschichtlichen Bedeutung für Dörings Haus in Bad Honnef beleuchtet. Obwohl nur ein kleines Einzelhaus und obwohl aus dem traditionellen, wenn auch ungewöhnlich verarbeiteten Material Holz errichtet, verkörperte es Hoffnungen, die damals verbreitet waren.
Wolfgang Pehnt spricht von einer »Zeit der technischen Utopien, die man kaum noch Utopien nennen wollte, so dicht schienen sie vor der Tür zu stehen.« Die Weltraumfahrt hatte vorexerziert, was im Bereich des Machbaren lag. Warum sollte der Mensch nicht wenigstens in Türmen und künstlichen Hügeln aus Plastikkapseln und Wohnzellen hausen? Dergleichen fand sich auf den Skizzenblöcken der jungen Generation wie heute die Säulenhallen und Palladiofenster. Hindernisse wurden nur noch beim rückständigen Baugewerbe gesehen. Gegen seine altehrwürdigen Fertigungstechniken, die im Winter stillgelegten Baustellen, die Vielzahl der Gewerbe setzten die Technologen die totale Industrialisierung des Bauens. Ziel waren nicht die schwerfälligen Großplatten und die Raumzellen aus Beton, bis zu denen die Bauwirtschaft sich allenfalls durchgerungen hatte, sondern elastische Elemente, leicht montierbar, paBgenau wie die Erzeugnisse von Schiffsbau, Flugzeugindustrie und Autofabrikation ...
Architekturdesignern wie Döring galt das Bauen nicht mehr als ein Vorgang, der zu abgeschlossenen Ergebnissen führt, sondern als ein stets sich wandelnder Prozeß. Seine Produkte waren als provisorische Zwischenbilanzen gedacht, die durch ständige Innovationen überholt werden, entsprechend kurzfristig sollten sie sich amortisieren. Die Macher übten sich in neuen Rollen, für die sie am liebsten auf die alte Berufsbezeichnung verzichtet hätten: nicht Architekt, sondern Entwurfsspezialist für Prototypen. Auf die Originalität des einmaligen Entwurfs kam es ihnen nicht mehr an, da er ihnen durch den hektischen Wechsel der Architekturmoden kompromitiert schien. Dieser Gedanke jedenfalls läßt sich bis heute nachvollziehen. Wie der Urheber war auch der Bewohner als eine andere Spezies Mensch gedacht. An die Stelle des Bürgers mit seinen überkommenen Gepflogenheiten trat der Homo ludens, der die Möglichkeiten des Systembaukastens spielend nutzt. Hieronymus im Gehäuse wurde durch den Nomaden ersetzt, der mit leichtem Gepäck durchs Leben wandert, abrufbereit und so mobil wie sein provisorisches Zuhause. Ging schon der Wohncontainer nicht (wie in manchen Projekten) mit auf die Reise, so sollte die menschliche Bleibe wenigstens »veränderlich sein, kombinierbar, demontierbar, remontierbar.« (aus: Mathias Schreiber, Hrsg.: Deutsche Architektur nach 1945, Stuttgart. 1986. S. 87)
Der von Pehnt beschriebene Zeitgeist der 60er Jahre wird im Haus Mayer-Kuckuk auf einmalige Weise manifest. Das liegt nicht nur daran, daß es einen Trend verkörpert, der auf dem Gebiet des Wohnungsbaus und weit darüber hinaus keine vergleichbare Realisation gefunden hat, sondern daß dies zugleich in einer technisch und ästhetisch ausgefeilten Form geschah, die von der Gesamtlösung bis in alle Einzelheiten reicht. Das macht auch die weit über die Fachwelt hinausreichende lebhafte Rezeption verständlich. Das Haus Mayer-Kuckuk ist sozusagen eine prototypische Realisation progressiver architektonischer Gedanken einer fortschrittsgläubigen Zeit, ein hervorragendes architekturgeschichtliches Zeugnis der 60er Jahre und bedeutend im Sinne des Denkmalschutzgesetzes.
In gestalterisch-konstruktiver Hinsicht ist es eine zugleich überraschende und folgerichtige Fortführung der heimischen Fachwerktradition wie auch der Anfangspunkt einer völlig neuartigen Architekturkonzeption im Fachwerkbau, die sich von den Traditionen dieser Bauweise weitgehend löst. Ihr auffälligstes Merkmal ist die Trennung des frei vor der Wand stehenden, tragenden Wandgerippes von der zurück verlegten Außenhaut, die damit zugleich den Charakter einer Ausfachung verliert. Dieses konstruktive System, das aus dem Stahl- und Stahlbetonbau bekannt war, ist hier von Döring erstmals konsequent beim Holzfachwerk eines Wohnbaus eingesetzt worden. Seine konstruktive Logik besteht darin, daß die Trennung von Tragwerk und eigentlicher Außenwand eine bessere Dichtung ermöglicht, indem sie die Vielzahl der Anschlüsse zwischen Holz und Ausfachung vermeidet. Dieser Logik entspricht es auch, daß die Sperrholzdreiecke der Queraussteifung aus der Wandebene hinaus in die Konstruktion verlegt werden, womit das 2. auffällige Gestaltungsmerkmal des Bauwerks begründet ist. Ähnliches gilt für die Längsaussteifung aus Stahlzugbändern, die für den Bautyp ebenfalls innovativ, aber für das Erscheinungsbild weniger prägend ist.
Bei den Deckenkonstruktionen, deren Doppelzangen die Ständer jeweils beidseitig umfassen, war der Architekt wegen der Zweigeschossigkeit des Hauses allerdings gezwungen, das Prinzip der strikten Trennung von Tragwerk und Wand zu durchbrechen, indem die Deckenbalken die Außenwände durchstoßen. Aber auch hier setzt er die konstruktive Notwendigkeit durch die Anordnung der Lichtbänder ästhetisch um.
Aufgrund dieser an die Fachwerkgeschichte anbindenden, aber zugleich völlig neuen Konzeption markiert das Haus Mayer-Kuckuk einen wesentlichen Schritt in der Entwicklung der modernen Architektur, insbesondere der Holzskelettbauweise. Bei dieser Bewertung spielt der gelungene Grundriß allenfalls eine Nebenrolle. Dem Charakter des Bauwerks entsprechend sind seine wesentlichen Elemente die Veränderbarkeit und die konstruktiven Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht wurde.
Es gebört zu den besonderen Vorzügen des Bauwerks, daß es eine überzeugende Ästhetik besitzt, die nicht nur die zugrunde liegenden Konstruktionsprinzipien klar zum Ausdruck bringt, sondern es im eigentlichen Wortsinne zu einem anschaulichen Objekt macht, das seine schlicht herausgebobene Position in einer enger gewordenen Bebauung der Umgebung bis heute unangefochten behauptet. Mit an deren Worten: Die Qualitäten des Hauses als gebautes Dokument des Fortschrittsglaubens der 60er Jahre sind leicht verständlich und ablesbar geblieben.
Wegen der besonderen Bedeutung der im Haus Mayer-Kuckuk enthaltenen historischen Aussagen bestehen künstlerisch-architektonische und wissenschaftliche Gründe für seine dauerhafte Erhaltung als Dokument der modernen Architektur. |
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