Die Ästhetik


Bei dem Bauprojekt stand offensichtlich Wirtschaftlichkeit, Normierung und Konstruktion ganz im Mittelpunkt, dennoch erreicht das Haus in einem ganz besonderen Maße eine ästhetische Qualität, die über die nüchterne Ästhetik technologischen Designs weit hinausgeht. Es erfüllt sich in diesem Projekt Dörings Anspruch, daß sich bei konsequenter technologisch-innovativer Planung eine neue Sprache der Architektur entwickelt. (1)

Gleichzeitig wird mit diesem Haus aber belegt, daß auch der moderne Architekt eine künstlerische Hand haben sollte, denn das Haus Böckingstraße 9 bezieht die ästhetischen Qualitäten nicht nur aus den Notwendigkeiten der Konstruktion.

In dem 1977 veröffentlichten Gespräch mit Heinrich Klotz sträubt sich Döring anfangs gegen den ästhetischen Blick auf seinen Entwurf:
"Das Aussehen dieses Hauses hat mich eigentlich überhaupt nicht interessiert." (2)
Klotz: "Es kam Ihnen sehr darauf an, die Konstruktion zu zeigen, wie Sie sagen. Ist das nicht eine Ästhetisierung konstruktiver Momente?"
Döring: "Sie sehen doch, daß jedes Detail seinen Zweck erfüllt." (3)

Klotz: "Und doch können Sie nicht hindern, daß man dieses Haus auch als ein dramatisches Formenspiel ansehen kann. Oder ich sage herausfordern altmodisch: daß man es gar schön finden kann."
Döring: "Das ist natürlich gefährlich, alles aus der konstruktiven und technischen Konsequenz heraus erklären zu wollen, also zu behaupten, daß etwas von allein schön wird, wenn man es nur bis zum letzten Punkt vorantreibt. Max Bill schrieb hier einmal vom Zusammenfall der relativen Vollkommenheit des Zweckes mit der relativen Vollkommenheit der Schönheit."
Klotz: "Aha, jetzt kommt doch noch die Kunst zum Vorschein!" (4)



Entscheidend für die ästhetische Qualität des Hauses sind die Proportionen und die akzentuierten Details. So sind z.B. die Trapeze der Verknotungen größer als statisch notwendig, es kam Döring durchaus auf die Maßverhältnisse an:
"Ich habe sehr viele Modelle gebaut und wochenlang am letzten Modell gebastelt bis das eben stimmte. Die Proportionen spielen eine große Rolle. Wie lächerlich hätten die Dreiecke an den Balkenenden aussehen können!" ... oft sind es "nur Zentimeter, die da eine Rolle spielen." (4)
Das ist in der Tat wörtlich zunehmen, so sind z.B. die ca. 2 cm breiten Fugen zwischen den einzelnen Eternitplatten der Außenfassade ein wichtiges Gestaltungsdetail, sie sind die vertikale Gliederung zwischen den Stützen des Tragwerks.



Das Zitat von Max Bill vom Zusammenfall von Zweck und Schönheit (s.o.) beschreibt Dörings Arbeitshaltung in der es bei aller Konsequenz auch immer um ästhetische Entscheidungen geht. So hätte es sicherlich statische Vorteile gehabt, den Baukörper zur Versteifung mit dem Ständerwerk fest zu verbinden. Döring entschied sich aber für einen Abstand von 10 cm zwischen Stütze und Wand und für die Drahtkreuze, um die Konstruktion zu zeigen. "Aber diesen Scherz mit den Drahtkreuzen für ein paar Mark, den sollte man sich als Architekt und als Bauherr, der selber Spaß haben möchte an seinem Haus, leisten können, um den Verlauf der Kräfte wirklich deutlich zu machen." (5)



Durch die farbige Gestaltung und Akzentuierung von Details wird das Konstruktionsprinzip über sich hinausweisend zu einem ästhetischen Programm, das Raster aus schwarzen und weißen Elementen mit den roten Verweisen auf Besonderheiten der Statik macht das Gebäude auch als Objekt erlebbar mit visuellen Bezügen zu Themen und Erscheinungen zeitgenössischer Malerei und Skulptur. Hier sind z.B. Werke von Peter Brüning aus der Zeit von 1966 - 1968 zu benennen.


Ausstellung Peter Brüning (1929-1970) im Museum Küppersmühle, Duisburg 2007
Anmerkungen
1) "Erst bei völliger Beherrschung der technischen Fakten und der Erkenntnis ihrer Zusammenhänge ist es möglich, Dinge zu Räumen zu ordnen. Aus den Mitteln und Kenntnissen wird sich bei intensiver Beschäftigung eine neue Sprache entwickeln können zu bisher unbekannten Grenzen."
Wolfgang Döring: Technologie und die Zukunft der Architektur
In: Städtebau der Zukunft, Hrsg. Lauritz Lauritzen
Econ Verlag, Düsseldorf 1969, S. 301
2) Heinrich Klotz: Architektur in der Bundesrepublik
Ullstein Verlag, Frankfurt-Berlin-Wien 1977
S. 66

3) S. 76
4) S. 77
5) S. 75